Ende Juli 1943 kommen Erna Korn und ihre Mutter in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Dort wird ihnen ihr Eigentum abgenommen, sie werden registriert, tätowiert und rasiert, bevor beide für vier Wochen in die so genannte Quarantäne geschickt werden. Hier müssen sie einen Monat in praller Sonne auf einem Gelände außerhalb des Lagers aushalten. Sie bekommen kaum Wasser, ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Kartoffelschalen. Aus der Quarantäne entlassen, werden die Frauen zum Arbeitsdienst eingeteilt. In Harmense, einem Außenlager von Auschwitz, müssen sie geschnittenes Schilf mit Harken aus Fischteichen holen, dieses stapeln und nach ein paar Wochen an einen anderen Ort bringen. Da sie bei dieser Arbeit immer im Wasser stehen und keinerlei Kleidung zum Wechseln besitzen, tragen die Frauen ständig feuchte Kleidung. Zudem herrschen im Lager katastrophale hygienische Bedingungen: Die Baracken sind überfüllt und voller Ungeziefer, die Häftlinge bekommen kaum Nahrung und keine ärztliche Versorgung. So zieht sich Erna Korn nach kurzer Zeit eine schwere Bindegewebsentzündung am Bein zu, die nicht verheilt.
Bei einer Selektion am 15. September 1943 bleiben diese Wunden nicht verborgen. Erna wird ausgewählt und in den so genannten Todesblock 25 verlegt. Dort befinden sich bereits etwa 600 Frauen. Obwohl es ihnen niemand direkt sagt, wissen alle, was ihnen am nächsten Tag bevorsteht: Die Ermordung in den Gaskammern. Die ganze Nacht brennt das Licht, die Latrinen dürfen nicht mehr benutzt werden und es gibt nichts zu essen. Am nächsten Morgen müssen sich die Frauen auf dem Innenhof des Todesblocks versammeln. SS-Aufseher treiben sie auf Lastwagen, um sie so zur Gaskammer zu transportieren. Inmitten dieses Chaos kniet sich Erna Korn auf die Erde und betet in der Morgendämmerung darum, wenigstens noch einmal die Sonne sehen zu dürfen.
Ich war ganz schwach und hab mich auf die Erde gesetzt. Ich hatte einen Wunsch, ich wollte die Sonne noch mal sehen. Ich hab gedacht, wenn ich die Sonne sehe, dann kann mir doch nichts passieren. Das war kindlich und naiv, aber daran hab ich mich gehalten. Es war so ein dämmeriger Morgen, und ich habe gebetet: „Lieber Gott, ich möchte leben, aber wie du willst.“ Das hab ich immer wieder gesagt und immer wieder gesagt. Und das hat mich getröstet – und ich habe die Sonne gesehen.Erna de Vries, 2006
In diesem Moment hört Erna jemanden ihre Häftlingsnummer rufen. In Auschwitz ist dies der strikte Befehl sich zu melden, sie reagiert automatisch. Ein SS-Mann mit einem Karteikasten kontrolliert ihre Nummer und schickt sie mit den Worten „Mensch, du hast mehr Glück als Verstand“ zurück in die Baracke.
Erst später erfährt sie, dass sie als so genannter „Mischling“ mit 83 anderen Frauen in das Konzentrationslager Ravensbrück verlegt werden soll. Als „Mischlinge“ gelten den Nationalsozialisten alle Personen, die sowohl jüdische als auch nicht-jüdische Vorfahren haben. Da Erna Korns Vater Protestant war, gilt sie als „Mischling 1. Grades“.
Nachdem Erna Korn dem sicheren Tod entgangen ist, wird sie einem anderen Block zugeteilt. Obwohl es ihr strikt verboten ist, macht sich Erna Korn auf die Suche nach ihrer Mutter, um sich von ihr zu verabschieden. Glücklich, dass wenigstens ihre Tochter aus Auschwitz herauskommt, gibt sie ihr die letzten Worte mit auf den Weg, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten werden: „Du wirst überleben und erzählen, was man mit uns gemacht hat.“
Wenige Wochen nach ihrem Abschied, am 08. November 1943, wird Jeanette Korn in Auschwitz-Birkenau ermordet.
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